Mittwoch, 19. April 2017

Überzeugen, verhandeln, streiken

Wie die Belegschaft bei der Verpackungsfirma Freund in Nordhausen den Tarifvertrag durchsetzte

Die jüngste DRUCK+PAPIER steckte kaum im Briefkasten, da meldete sich André Jäger. »Mit großem Interesse und auch ein bisschen Begeisterung habe ich euren Aufruf in der neuen DRUCK+PAPIER gelesen. Das ist wirklich ein toller Vorstoß und ich möchte gleich etwas beisteuern.« Wir hatten die Leser/innen aufgefordert, uns Themen zu schicken, die wir recherchieren. Ist der Beitrag für viele interessant, wird der Text veröffentlicht.

André Jäger hat schon in etlichen Betrieben als Drucker gearbeitet. Aber »in fast 20 Arbeitsjahren bin ich noch nie in den Genuss des Tariflohns gekommen.« Wie kommt man raus aus der Tariflosigkeit? Wie wird eine Belegschaft so stark, dass sie Veränderungen erreichen kann? Das möchte er von DRUCK+PAPIER wissen.
 

Detlef Kreiter hat einen nach dem anderen für ver.di geworben. Nach fünf Jahren war es geschafft: Es gibt einen Haustarifvertrag.

Kaum ein Mitglied
Das hat sich auch Detlef Kreiter gefragt. Er ist Versandleiter bei der Verpackungsfirma Freund im thüringischen Nordhausen. Dort war die Belegschaft unzufrieden: dauernde Wochenendarbeit, unregelmäßige Schichten, eine 40-Stunden-Woche, nur vier Wochen Urlaub, kein Urlaubsgeld, kein Weihnachtsgeld und schlechte Bezahlung. Die meisten der damals etwa 70-köpfigen Belegschaft verdienten um die 8,50 Euro, mal etwas mehr, mal etwas weniger. Den gesetzlichen Mindestlohn gab es noch nicht.

Der Unterschied zum Tarifvertrag der Papierverarbeitung hätte kaum größer sein können. Wie sollte es gelingen, den Eigentümer zu Tarifverhandlungen zu bewegen? Zumal fast niemand Mitglied der Gewerkschaft war. Außer Detlef Kreiter war nur noch ein Kollege bei ver.di organisiert. Doch der blieb lieber unerkannt. Sieben Jahre ist das her.
Heute gilt ein Haustarifvertrag. Drei Viertel der Beschäftigten sind Mitglied bei ver.di. Dazwischen lagen mehr als fünf Jahre Überzeugungsarbeit: reden, werben, verhandeln. Allein die Verhandlungen mit der Geschäftsführung hatten zwei Jahre gedauert, hinausgezögert von den gegnerischen Anwälten, blockiert durch den Wechsel von drei Geschäftsführern. Die Firma Freund war zwischenzeitlich von der Weig-Gruppe übernommen worden.

Zurück ins Jahr 2010. Aus dem Stammsitz der Firma Freund im niedersächsischen Georgsmarienhütte waren Gerüchte nach Thüringen geschwappt. Unternehmensberater wären dort im Betrieb. Von Personalabbau war die Rede, die Standorte Krefeld und Dresden wurden geschlossen. Der Berater, den ver.di zur Unterstützung für Georgsmarienhütte hingezogen hatte, riet den Thüringern: »Ihr müsst rein in ver.di!«
Du, wir brauchen dich
Dem Rat ist Detlef Kreiter gefolgt. Einen nach dem anderen wirbt er für die Gewerkschaft, damals noch als Betriebsratsvorsitzender, später als Tarifkommissionsmitglied, heute macht er als Vertrauensmann weiter. Er ist auf die Kolleg/innen im Betrieb zugegangen, offen, ohne sich zu verstecken, du, wir brauchen dich. Stur sei er, zäh und hartnäckig, sagt Monika Helfensritter von ver.di in Erfurt.
»Mehr als fünf Jahre haben wir im Landesfachbereich daran gearbeitet, dass die Belegschaft heute einen Tarifvertrag hat.« ver.di lud zu Mitgliederversammlungen ein, wählte eine Tarifkommission, schulte die Mitglieder. Doch erst als die Belegschaft zwei Stunden lang die Arbeit niederlegte, hat die Geschäftsleitung den Haustarifvertrag unterzeichnet.

Arbeitszeit, Jahressonderzahlung und Lohn werden stufenweise verbessert. 2019 gibt es die 37-Stunden-Woche und die tarifliche Jahressonderzahlung von 95 Prozent; 30 Urlaubstage sind schon nächstes Jahr fällig. Dann gibt es auch den vollen Tariflohn. Ein Erfolg, sagt Monika Helfensritter. Stimmt, pflichtet ihr Detlef Kreiter bei. Allerdings ärgert ihn eines maßlos: Dass Kollegen, die nicht in ver.di eintreten, dennoch Tarifleistungen erhalten.
Gesprächsstoff
André Jäger wird die aktuelle DRUCK+PAPIER im Betrieb verteilen. Denn wenn etwas drinsteht über die Situation in anderen Betrieben, dann sei das am nächsten Tag Thema bei den Kolleg/innen. »Die Zeitung hat das Potenzial zum Aushängeschild der Gewerkschaft zu werden.«
Text: Michaela Böhm; Foto: privat

Wenn ihr selbst ein Thema habt – schreibt uns: Ihr bestimmt, wir recherchieren.  drupa@verdi.de
 
 
 

2 Kommentare:

  1. Ich gehe mal davon aus, dass die dortige GL und deren Führungskräfte bei uns Beschäftigten nicht so mit Arbeitsplatzverlust hausieren gegangen sind, wie bei uns in der Beck'sche.
    Unsere hochdotierten Bosse sind halt hier einfach Spitze!

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  2. Im Druck ist es eben nicht mehr einfach! Nenne mir eine Druckerei, die derzeit in Deutschland noch Arbeitsplätze ausbaut!? Da wird derzeit überall abgebaut und wenn Ihr bei Beck noch Prämien ausbezahlt bekommt...
    Euer Jammern ist nicht nachvollziebar!

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